Vortrag am 14. 07. 2016

Donnerstag, 14.07.2016, 19:00 Uhr, im Rahmen der Sonderausstellung
»Das Niegehörte sichtbar machen.
Die Bildwelten des Günter Grass (Danzig 1927 – 2015 Lübeck)«


Vortrag von Prof. Dr. Volker Neuhaus:

»,…geboren dort, wo eigentlich auch die Quelle meiner Literatur begraben und vergraben liegt‘: Die Bedeutung Danzigs für Leben und Werk von Günter Grass«

Günter Grass wurde durch seine Herkunft gleich dreifach geprägt: in seiner politischen Geographie, in seinen historischen Erfahrungen und in der Fundierung seines literarischen Lebenswerks: Noch sein letztes Buch, das er wenige Tage vor seinem Tod fertigstellte, bewahrt im Titel den von ihm so geliebten Sprachklang seiner Heimat: „Vonne Endlichkait“

Grass‘ geopolitisches Weltbild war stark nach Osten ausgerichtet; z.B. hörte für ihn Europa niemals an der Elbe auf; immer waren für ihn Tschechien, die Slowakei, Polen Staaten, ohne die der sogenannte »europäische Gedanke« zu einer Absurdität wurde.

Geschichtlich bedingte Grass‘ Aufwachsen in einer deutsch-kaschubischen Familie im Freistaat Danzig das Fehlen jeglicher positiver Erfahrung mit dem geeinten Deutschland.

Zugleich wurde für ihn als direkt Betroffenen die so schmerzliche wie klare Erkenntnis, dass seine Heimat durch die deutschen Verbrechen unwiederbringlich verspielt worden war,  zur Quelle seiner Dichtung: In ihr konnte Grass »Heimat« gemäß dem Hegelschen Wortspiel dreifach »aufheben« – von der Geschichte war sie  zwar durch deutsche Schuld »aufgehoben« im Sinne von verschwunden, aber in seiner Dichtung konnte er sie auf Dauer »aufheben« im Bewahren und zugleich auf eine höhere Stufe »aufheben« und zur Gralsburg der Kindheit  elevieren, zum Ort, wo in alle Ewigkeit „die Milch – ein Nebenarm  der Weichsel – … mit dem Honig brückenreich vorbei“ fließen.

Prof. Dr. Volker Neuhaus, emeritierter Professor für Neuere Deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität zu Köln, ist Vorsitzender der Goethe-Gesellschaft e. V. (Köln) und wissenschaftlicher Leiter der Günter Grass Stiftung Bremen. Zu den Schwerpunkten der wissenschaftlichen Arbeit von Volker Neuhaus gehören die Beschäftigung mit den Werken von Günter Grass, dessen Werkausgaben er seit 1987 herausgibt.